Bis vor einigen Jahren in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, ist der Begriff „Stammzellen“ mittlerweile zu einer Zauberformel geworden, mit der in naher Zukunft fast alle unsere medizinischen Probleme gelöst werden sollen. Und angehende Eltern kommen in einschlägigen Zeitschriften am Thema „Nabelschnurblut einlagern“ nicht vorbei, sei es redaktionell oder durch großformatige Anzeigen. Und in der Tat: das Thema hat es in sich! Zu unklar wie spannend sind die Einsatzmöglichkeiten, zu sehr ist das Thema emotionalisiert und Eltern sehen sich teilweise fast einem Gewissenskonflikt ausgesetzt, ob es vielleicht unverantwortlich ist, die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut ihres angehenden Lieblings nicht zu „konservieren“, sei das auch noch so teuer.
In diesem Artikel wollen wir klären, was man (a) über das Thema an solidem Hintergrundwissen haben sollte und (b) ob und ggf. für wen welche Variante der Einlagerung (oder Spende?) von Nabelschnurblut sinnvoll sein kann.
Schon berechtigt: die Hoffnung, in Zukunft viele Krankheiten mit Stammzellen heilen zu können
Die Hoffnung, dass viele Erkrankungen mit einer Stammzelltherapie erfolgreich behandelt werden können, beruht auf den langjährigen Erfolg von Knochenmarktransplantationen. Stammzellen werden mittlerweile nicht mehr ausschließlich aus Knochenmark gewonnen, sondern auch aus dem peripheren Blut und insbesondere dem Nabelschnurblut, das in eigens dafür konzipierte Blutbanken konserviert werden kann. Für die Konservierung von Stammzellen aus Nabelschnurblut stehen öffentliche und private bzw. kommerzielle Blutbanken zur Verfügung. Größter professioneller Anbieter dürfte hier wohl die Firma Seracell aus Rostock sein.
Wann kann eine Stammzellentransplantation helfen?
Stammzellen sind an der Bildung und Entwicklung vieler Gewebe und spezialisierter Zellen eines Organismus beteiligt. Die Ausbildung der Zelltypen, die im menschlichen Organismus vorhanden sind, beschränkt sich nicht auf die frühe Embryonalentwicklung. Auch im erwachsenen Organismus werden ständig Zellen erneuert. So können zum Beispiel bei Verletzungen durch regenerative Prozesse Organe oder Gewebe zumindest eingeschränkt nachgebildet werden. Stammzellen spielen außerdem eine große Rolle in Geweben oder Organen, die einen hohen Zellumsatz haben wie zum Beispiel das Blut oder die Haut. Stammzellen können für viele Gewebe und Organe aus dem Knochenmark, dem peripheren Blut und dem Nabelschnurblut gewonnen werden.
Seit über 15 Jahren werden Stammzellen aus Nabelschnurblut zur Behandlung von mehr als 70 verschiedenen Erkrankungen transplantiert. Dazu gehören in erster Linie bösartige Erkrankungen des blutbildenden und lymphatischen Systems, Immundefekte, Stoffwechsel- und Tumorerkrankungen sowie einige genetische Defekte.
Nabelschnurblut bei der Geburt auffangen
Nabelschnurblut wird unmittelbar nach der Geburt aus der Plazenta und dem Restnabelschnurblut nach der Abnabelung gewonnen. Die im Blut enthaltenen Stammzellen werden auf Qualität und eventuelle Keimbesiedelung überprüft und können in Nabelschnurblutbanken tiefgefroren eingelagert werden. Im Bedarfsfall werden aus den eingefrorenen Stammzellen Präparate hergestellt, mit denen ein Patient behandelt werden kann. Ein Beispiel ist die Behandlung einer Leukämie, bei der in vielen Fällen die Transplantation von Stammzellen die einzige Rettung für den betroffenen Patienten ist.
Stammzellenspender und -Empfänger sind in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht miteinander verwandt. In diesem Fall spricht man von einer „allogenen“ Transplantation, vergleichbar mit einer Fremdblutspende. Werden dem Patienten Stammzellen transplantiert, die man ihm zuvor entnommen hat, bezeichnet man dies als „autologe“ Transplantation, die einer Eigenblutspende ähnlich ist.
Seit der ersten Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut im Jahre 1988 wurden weltweit über 20.000 Menschen mit diesem Verfahren erfolgreich behandelt. In allen Fällen handelte es sich um allogenes Nabelschnurblut, d.h. Spender und Empfänger waren nicht miteinander verwandt. Über 200.000 tiefgefrorene allogene Transplantate stehen weltweit zur Verfügung und können über ein zentrales Nabelschnurblutstammzellenspenderregister angefordert werden.
Nabelschnurblut ist zu schade zum Wegwerfen
Die Menge an Stammzellen, die aus Nabelschnurblut gewonnen werden kann, ist weitaus höher als die Anzahl der Zellen aus Knochenmark und peripherem Blut. Die jungen Stammzellen sind immunologisch unreif, weshalb die Verträglichkeit zwischen Spender und Empfänger sehr gut ist. Abstoßungsreaktionen, die bei der normalen Knochenmarkspende ein großes Problem sind, kommen bei der Transplantation von Nabelschnurstammzellen weitaus seltener vor. Stammzellen aus Nabelschnurblut stehen wesentlich schneller verfügbar als Knochenmark. Benötigt ein Patient eine Knochenmarkspende, muss zunächst der passende Spender durch zeitaufwendige immunologische Untersuchungen gefunden werden. Nabelschnurblutbanken hingegen können jederzeit auf ihren Vorrat an Stammzellen zurückgreifen und im Notfall sogar innerhalb 2-3 Tage das Stammzellenpräparat zur Verfügung stellen. Von großem Vorteil ist auch die unkomplizierte Gewinnung der Stammzellen, die für Mutter und Kind völlig risikolos ist.
Stammzellen aus Nabelschnurblut eignen sich jedoch nicht nur zur Behandlung der eingangs erwähnten Erkrankungen. Aus bestimmten Stammzellentypen können Gewebstypen herangezüchtet werden wie beispielsweise Knorpel, Knochen, Bauchspeicheldrüsengewebe und Herzmuskelzellen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit zum Beispiel Arthrosen und Diabetes mellitus zu heilen oder aber Gewebe wieder zu ersetzen, das durch Herzinfarkte oder Schlaganfälle zerstört worden ist.
Öffentliche und private Stammzellenbanken
Die Einlagerung von Nabelschnurblut liegt im Trend, denn an das Potenzial kindlicher Stammzellen werden hohe Erwartungen gestellt. Viele werdende Eltern machen sich Gedanken darüber, das Nabelschnurblut ihres Kindes in einer geeigneten Stammzellenbank konservieren zu lassen, damit eine evtl. Erkrankung ihres Kindes durch eine Transplantation eigener Stammzellen geheilt werden kann. Die zweite, weitaus schwierigere Frage lautet, wo das abgenommene Nabelschnurblut eingelagert werden soll, denn dafür stehen in Deutschland sieben öffentliche und sechs private Stammzellenbanken zur Verfügung. Die größte staatliche Stammzellenbank befindet sich an der Universitätsklinik Düsseldorf und hat derzeit über 21.000 Nabelschnurblutpräparate eingelagert.
Öffentliche Stammzellenbanken
Wird das abgenommene Nabelschnurblut in einer öffentlichen Stammzellenbank konserviert, sind nur noch Fremdtransplantationen möglich. Mit anderen Worten: Das Nabelschnurblut wird gespendet und steht für den Eigenbedarf nicht mehr zur Verfügung, sondern nur noch für allogene Transplantationen, das heißt Spender und Empfänger sind nicht miteinander verwandt.
Weltweit existieren über 100 öffentliche Banken, in denen rund 500.000 allogene Nabelschnurblutspenden konserviert werden. Die über 300 internationalen Transplantationszentren haben sich in einem Netzwerk zusammengefunden und können auf die Datenbanken der öffentlichen Stammzellenbanken zurückgreifen und geeignetes Stammzellenmaterial für einen Patienten ordern.
Die Abgabe von Nabelschnurblut an eine öffentliche Bank ist für die Eltern kostenlos. Öffentliche Stammzellenbanken finanzieren sich über Steuergelder, Spenden, Stiftungen und natürlich den Transplantaterlös.
Private Stammzellenbanken
Private Institute bieten an, das Nabelschnurblut für den Eigenbedarf einzulagern, was viele Eltern prophylaktisch machen, damit bei einer Erkrankung ihres Kindes, die durch eine Stammzellentransplantation geheilt werden kann, auf körpereigenes Nabelschnurblut zurückgegriffen werden kann. Das konservierte Nabelschnurblut ist ausschließlich für eine autologe Transplantation im Sinne einer Eigenblutübertragung vorgesehen, weshalb sich die weltweit rund 140 privaten Banken nicht am internationalen Netzwerk der Transplantationszentren beteiligen. Die Eigentumsrechte am eingelagerten Nabelschnurblut verbleiben bei der Familie, d.h. Eltern vertreten ihr Kind wegen fehlender Geschäftsfähigkeit bis zum 18. Lebensjahr, danach gehen die Eigentumsrechte am eingelagerten Nabelschnurblut an den eigentlichen Spender über.
Die Konservierung von Nabelschnurblut für den Eigenbedarf in einer privaten Stammzellenbank ist nicht kostenlos, sondern muss von den Eltern finanziert werden. Je nachdem, welche Leistungen und Einlagerungsdauer gebucht werden, können Kosten jenseits von 2.000 EUR zusammenkommen.
Stammzellenkonservierung für den Eigenbedarf – Geschäfte wie am (Nabel-)Schnürchen?
Stammzellforschung ist eine hoch komplizierte Angelegenheit und ihre Ergebnisse unterliegen einem stetigen Wandel, weshalb es werdenden Eltern im Normalfall nicht möglich ist, sich umfassend zu informieren, denn das würde bedeuten, dass sie selbst zu Experten in Sachen Stammzellen werden müssten. Andererseits sind die Eltern um die Zukunft ihres ungeborenen Kindes besorgt und möchten ihm jede erdenkliche Gesundheitsvorsorge ermöglichen. Und damit sind sie leichte Beute für private Stammzellenbanken, die den Eindruck erwecken, es sei ein unverzeihlicher Fehler, das Nabelschnurblut einer öffentlichen Blutbank zu spenden, denn dann ist es für den Eigenbedarf verloren, oder es überhaupt nicht aufzubewahren.
Manche private Stammzellenbanken werben damit, dass eine Nabelschnurblutkonservierung für den Eigenbedarf die perfekte biologische Lebensversicherung sei, mit der dem Spender gesundheitlich nicht viel passieren kann: Zuckerkrankheit, Leukämie, Herzinfarkt, Schlaganfall, dritte Zähne, defekte Herzklappe und ramponierter Gelenkknorpel – mit einer autologen Stammzellentransplantation aus körpereigenem Nabelschnurblut alles kein Problem! Die Aussage einiger privater Institute, Nabelschnurblut sei das unverzichtbare Allheilmittel schlechthin, mit dem sich in naher Zukunft alle möglichen Erkrankungen beheben lassen, entspricht allerdings keinesfalls dem heutigen Stand der Forschung. Gegner privater Blutbanken sprechen gar von Science-Fiction.
Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte. Zudem hängt eine Einschätzung auch davon ab, welche privaten Anbieter man unter die Lupe nimmt: Der Anbieter Seracell zum Beispiel distanzierte sich in einer Pressemitteilung im Juli 2011 sehr deutlich von den Heilversprechen einiger anderer privater Anbieter bzgl. der Heilung von Leukämie mit eigenen Nabelschnurblut-Stammzellen.
Was Kritiker sagen:
Das Problem, das viele Mediziner mit den kommerziellen Anbietern haben bzw. Kritiker häufig vorwerfen: Private Stammzellenbanken würden gerne darauf verweisen, dass bereits seit Jahrzehnten Stammzellen erfolgreich bei der Behandlung von Krebserkrankungen und Erkrankungen des Blutes eingesetzt werden können, v.a. Leukämie. Das ist zwar korrekt, sie verschwiegen jedoch oftmals, dass diese Behandlungserfolge (bei Leukämie) nur durch allogene Transplantationen, also Fremdblutübertragungen, möglich sind. Bei unbedarften Interessenten an einer Nabelschnurblutkonservierung für den Eigenbedarf würde jedoch der Eindruck erweckt, dass auch das eigene Nabelschnurblut dafür geeignet sei.
Autologe Nabelschnurbluttransplantationen bergen immer das Risiko einer Rückübertragung. Bestes Beispiel sind die Leukämien im Kindesalter, die teilweise genetisch bedingt sind. Das bedeutet, dass die genetische Information zur Entwicklung der Leukämie auch in den eingelagerten Stammzellen vorhanden ist, weshalb sie für die Leukämiebehandlung nicht infrage kommen. Ein weiteres Problem ist die geringe Blutmenge, die bei einer Nabelschnurblutspende gewonnen werden kann. Erkrankt das Kind im Erwachsenenalter, ist die konservierte Menge an Nabelschnurblut viel zu gering für eine ausreichende Stammzelltransplantation.
Gerne wird auch mit spektakulären Einzelfällen geworben, bei denen eine autologe Stammzellentransplantation zu erstaunlichen Erfolgen geführt haben soll. Dass die Patienten sich jedoch einer Vielzahl von Behandlungsmaßnahmen unterziehen mussten und die Stammzelltransplantation lediglich eine zusätzliche Maßnahme war, wird von unseriösen Anbietern gern verschwiegen.
In jedem Fall sinnvoll: Private Einlagerung von Nabelschnurblut für gerichtete Spende, z.B. an Geschwister
Eine private Konservierung von Nabelschnurblut ist bei aller Kritik zum Beispiel bei einer gerichteten Nabelschnurblutspende sinnvoll. Darunter versteht man die Nabelschnurblutspende für ein erkranktes Geschwisterkind oder einen anderen nahen Verwandten, der bereits an einer Erkrankung leidet, die durch eine Nabelschnurblutspende möglicherweise geheilt werden kann. In diesem Fall sollte sich die Familie unbedingt (auch) bei den öffentlichen Stammzellenbanken erkundigen, ob sie Nabelschnurblut für eine gerichtete Spende einlagern, wie das beispielsweise bei der Düsseldorfer Bank möglich ist. Wird die private Konservierung in diesem Fall von der Krankenversicherung übernommen, wäre sie kostenlos.
Wie lange halten eingelagerte Stammzellen?
Wer sich für die Einlagerung von Stammzellen für den späteren Eigenbedarf in einer privaten Bank entschließt, sollte sich auch ein wenig mit den technischen Aspekten beschäftigen.
Stammzellen aus Nabelschnurblut werden seit ca. 20 Jahren tiefgefroren eingelagert. Die Frage, ob die Zellen auch nach 30, 40 oder 50 Jahren noch brauchbar sind, kann kein Wissenschaftler beantworten. Da für eine Stammzellentransplantation die bestmögliche Qualität der Zellen für den Behandlungserfolg mitentscheidend ist, verwenden erfahrene Transplantationszentren im Idealfall daher Transplantate, die nicht älter als fünf Jahre sind. Vor diesem Hintergrund hinterfragen manche Kritiker, dass private Banken eine jahrzehntelange Konservierung empfehlen, die mit etlichen 1000 € zu Buche schlägt und niemand weiß, ob die Stammzellen nach 30 Jahren noch brauchbar sind. Auf der anderen Seite: Möchte man auf Kritiker gehört haben, wenn in 20 Jahren die medizinischen Fortschritte wie erwartet und erhofft so groß sind, dass die eingelagerten Stammzellen bzw. das eingelagerte Blut aus der eigenen Nabelschnur tatsächlich einmal die Rettung (m)eines Lebens sein können?!
Auf Qualität und Seriosität setzen: Anbieter-Check
Vor der Einlagerung in eine private Stammzellenbank sollte man sich als zahlender Kunde folgende Fragen beantworten lassen:
- Wie sehen die Sicherungssysteme aus, um fehlerhaftes Einfrieren oder gar den Komplettausfall von Kühlsystemen zu verhindern?
- Wird kontrolliert, ob das abgenommene Nabelschnurblut Stammzellen im nennenswerten Umfang enthält?
- Werden die Stammzellen von den anderen Blutbestandteilen getrennt oder wird das gesamte Blut eingefroren?
- Werden die Stammzellen auf Lebensfähigkeit überprüft?
- Wie hat das private Institut die eingelagerten Blutproben für den Fall einer Insolvenz abgesichert?
Fazit: Was man Eltern raten kann
- Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind sein eigenes Nabelschnurblut benötigen wird, ist aus heutiger Sicht noch recht gering. Die private Einlagerung zum Eigenbedarf ist damit in gewisser Weise ein Spiel mit der Hoffnung und Erwartung (weiterer) medizinischer Fortschritte in der Zukunft. Wer die Kosten tragen kann, macht nichts verkehrt und im besten Fall sehr viel richtig.
- Dennoch gilt: Werdende Eltern sollten die Werbeversprechungen von privaten Stammzellenbanken kritisch hinterfragen und sich keinesfalls unter moralischen Druck setzen lassen, wenn sie sich gegen eine Nabelschnurblutkonservierung entscheiden. Bei knapper Familienkasse ist das Geld für dringendere medizinische Behandlungen u.U. besser investiert bzw. reserviert.
- Wer selbst nicht einlagern möchte oder kann: Prinzipiell ist die Nabelschnurblutspende an eine öffentliche Stammzellenbank eine gute Sache und kann helfen, dass ein Mensch irgendwo auf dieser Welt von einer schwerwiegenden Erkrankung geheilt werden kann.
- Sollten die Eltern bereits ein an Leukämie erkranktes Kind haben, kann es sinnvoll sein, das Nabelschnurblut des erwarteten Kindes für das kranke Kind zu konservieren.
- Wer das Nabelschnurblut privat für sich bzw. sein Kind einlagern lassen will, sollte nur auf hochprofessionelle, seriöse Anbieter setzen. Die Firma Seracell scheint uns für Deutschland hier ein empfehlenswerter, glaubwürdiger Anbieter zu sein.